Das Zettelkastenprinzip

Maurice Renck

Notizen zu machen ist einfach, man schnappt sich einen Zettel oder eine App und schreibt los. Notizen zu verstehen ist schwer, denn oftmals fehlen uns bereits nach kurzer Zeit Zusammenhänge und Kontext.

Die Kunst des Notierens liegt darin, die Notiz so niederzuschreiben, dass sie auch in ein paar Tagen, Monaten, sogar Jahren noch verständlich ist. Nur, wie macht man das?

Ein Ansatz ist das Prinzip des Zettelkastens. Bekannt wurde es durch den Soziologen Niklas Luhmann, der das Prinzip nutzte, um zahlreiche Bücher zu schreiben. Er gilt oft als Erfinder der Methode, dabei arbeiteten auch andere Autoren nach ähnlichen Methoden. Arno Schmidt schrieb seine Bücher mithilfe seiner umfangreichen Zettelsammlung. Sein bekanntestes Werk „Zettel’s Traum“, trägt den Zettel nicht nur im Namen, sondern zeigt auch eindrucksvoll, was möglich ist. Es ist riesig, wiegt neun Kilogramm und umfasst mehr als 1.300 großformatige Seiten.

Niklas Luhmann hat nicht ganz so umfangreiche Bücher geschrieben, hat den Zettelkasten stattdessen quantitativ genutzt und eine beeindruckende Zahl an Büchern veröffentlicht; eines pro Jahr, es konnten aber auch mal vier werden.

Nun wollen die Meisten von uns nicht unbedingt Buch um Buch veröffentlichen, sondern einfach nur verständliche Notizen schreiben.

Die beiden Herren oben dienen genau deshalb als ständige Beispiele, zeigen sie doch beeindruckend, was möglich ist. Natürlich sind Zettelkästen aber auch anderweitig und im Kleinen nützlich.

Das Prinzip in Gänze ist nicht in einem kurzen Beitrag zu erklären. Auch die meisten YouTube-Videos, die man findet, lassen relevante Punkte aus. Das Grundprinzip lässt sich jedoch sehr gut beschreiben, weil es denkbar einfach ist. Wer dann tiefer ins Detail gehen möchte, sollte „Das Zettelkasten-Prinzip“ von Sönke Ahrens lesen.

Das Grundprinzip besteht darin, jeden Gedanken auf einen Zettel zu schreiben und diesen dann zu archivieren. Dazu wurden früher kleine Zettel oder Indexkarten und entsprechende Kästen mit Registern genutzt. Daher der Name.

Wie funktioniert das Prinzip?

Zwei Dinge sind besonders wichtig:

  1. Jeder Gedanke steht für sich. Es werden niemals zwei oder mehr Gedanken auf einem Zettel notiert.
  2. Jeder Zettel bekommt einen eindeutigen Index. Eine Nummer oder eine andere Form der Indizierung.

Beim Aufschreiben ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Notiz für sich allein stehen kann, also kein zusätzliches Wissen benötigt wird. Schreiben wir Notizen zu Büchern, Vorträgen oder Ähnlichem, ist es sinnvoll, erst einmal alles zu sammeln. Das kann auf einzelnen Zetteln passieren oder auf großen Zetteln, auf denen die Notizen deutlich voneinander getrennt sind.

Erst wenn das Notieren abgeschlossen ist, machen wir uns an das Übertragen auf separate Zettel. Beim Übertragen auf einzelne Zettel ist es wichtig, sicherzustellen, dass wir wirklich immer nur einen Gedanken pro Zettel notieren und dass dieser für sich allein Sinn ergibt. Dabei hilft es u.U. etwas Abstand zwischen dem initialen Schreiben der Notizen und dem Verzetteln zu haben (ja, das heißt wirklich so).

Beim Übertragen auf einzelne Zettel, werden wir unweigerlich an den Punkt kommen, an dem sich ein Zettel auf einen oder mehrere andere Zettel bezieht. Hier kommt unser Index ins Spiel. Da jeder Zettel einen eindeutigen Index hat, können wir die Zettel nun miteinander in Verbindung bringen. Dazu ergänzen wir unsere Notiz um den Index der Notiz, auf die wir uns beziehen.

Nehmen wir an, wir schrieben eine Notiz darüber, wie man einen Microservice am besten strukturiert und erwähnen darin NodeJs. Ähnlich wie auf einer Webseite können wir das Stichwort „NodeJs“ nun verlinken, indem wir den Index des passenden NodeJs-Zettels an das Wort schreiben.

Auf der Rückseite unseres NodeJs-Zettels schreiben wir zusätzlich noch den Index des Microservice-Zettels, so wissen wir später, welche anderen Zettel auf dieses Thema verweisen.

Man kann es schon ahnen, durch dieses Prinzip schaffen wir uns nicht nur eine Menge einzelner Notizen, sondern ein ganzes Netzwerk aus Notizen, die sich alle gegenseitig referenzieren.

Was damals viel Arbeit war, geht heute mit entsprechenden Programmen bedeutend einfacher. Programme wie Obsidian erleichtern nicht nur das Schreiben und Verknüpfen, sondern bieten uns auch noch eine tolle Übersicht über die Verknüpfungen.

Was soll das alles?

Zunächst muss gesagt werden: Je länger wir den Zettelkasten nutzen, desto mehr Nutzen können wir daraus ziehen. Sollte es anfangs also wenig sinnvoll erscheinen, sich so viel Mühe zu machen, wird das Gefühl im Laufe der Zeit garantiert verschwinden.

Wir können in unserem Zettelkasten nun nach einem bestimmten Thema suchen und uns darüber informieren. Durch die Verknüpfungen ergibt sich ein Kontext und vielleicht tauchen sogar Zusammenhänge auf, die wir ohne Verknüpfungen gar nicht erkannt hätte.

Das kann dabei helfen, neue Dinge zu lernen, aber insbesondere hilft es dabei, Dinge besser zu erinnern.

Warum ist dieses Prinzip gerade bei Autoren so beliebt? Niklas Luhmann wird deshalb immer wieder als Beispiel herangezogen, weil er das Prinzip komplett verinnerlicht hat. Er hat über so ziemlich alles Notizen gemacht und sie verzettelt. Wenn er ein neues Buch schreiben wollte, suchte er sich ein oder mehrere Themen, holte die passenden Zettel aus seinem Zettelkasten und alle damit verknüpften Zettel. Durch die vielfältigen Verknüpfungen und die umfangreichen Notizen, musste er die Zettel „nur noch“ in die richtige Reihenfolge bringen und hatte bereits eine Outline für sein Buch, die er dann noch aus- und umformulierte.
Auf diese Weise konnte er so viele Bücher schreiben. Im Grunde kann man sagen, dass das Schreiben eines Buches bereits beim Anlegen der ersten Notiz begonnen hat.

Das können wir auf vieles übertragen. Ob wir nun Blogbeiträge schreiben wollen, eine Hausarbeit, einen Vortrag halten, einen Workshop geben oder ein Problem lösen wollen. Je größer und besser verknüpft unser Zettelkasten ist, desto höher ist die Chance, dass wir auf eine Lösung stoßen.

Um sich beim Verzetteln nicht zu verzetteln, sollte man noch ein paar andere Regeln beachten und unbedingt konsequent sein. Wie bereits erwähnt, lässt sich das aber nicht in einem Beitrag unterbringen. Hier empfiehlt sich oben genanntes Buch.

Ich nutze das Prinzip jetzt ein paar Monate und bin immer noch sehr begeistert davon. Ich kann jedem nur raten, es zumindest mal auszuprobieren.

Und wer neugierig ist, kann Arno Schmidts Zettelkasten in diesem PDF bestaunen. Seine Notizen lassen sich ebenfalls herunterladen.